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Die Volkswerft Stralsund und ihr Schiffbauprogramm 1972 – 1984

 

Zu Beginn dieses Zeitraums erfolgte eine zweite Rationalisierungsphase nach dem Ausbau Süd. Dem DDR-Schiffbau war 1969 von staatlicher Seite die Aufgabe gestellt worden, den Export zu steigern. Die Volkswerft schlug dafür den Weg der „großen Rationalisierung“ ein, die den Bau größerer Schiffe und den Bau von gleichzeitig zwei Schiffstypen ermöglichen sollte. Mit dem Vertrag von 1970 zwischen der VVB Schiffbau Rostock und der A/V Sudoimport Moskau über die Lieferung von 71 Fang- und Verarbeitungsschiffen Typ „Atlantik-Supertrawler“ war ein Schritt getan. Zum Erreichen der notwendigen Produktivitätssteigerung mußte aber zum Großsektionsbau übergegangen werden. Im Vergleich zum Vorgänger FGS „Atlantik“, der mit 72 Sektionen von max. 28 to montiert wurde, galt für den wesentlich größeren Supertrawler die Zielstellung, mit nur 77 Sektionen und folglich mit Sektionsgewichten bis 150 to auszukommen. Für deren Bau und Transport war eine erhebliche Erweiterung der Sektionsbaukapazität inkl. Bekranung unabdingbar worden.

Eine automatische Plattenvorbehandlung, Fließstraßen für Flach-, Doppelboden- und Großsektionen sowie weitere arbeitsorganisatorische Verbesserungen waren einige Komplexe dieses Modernisierungsprogramms. Nicht zuletzt wurde das Forschungs- und Informationszentrum (Hochhaus) gebaut und als Kompetenzzentrum geführt. Auf dem Gelände der FR-Sektors an der Ziegelstraße entstand ein Rechenzentrum mit Anlagen ausgerüstet, die dem Stand der Entwicklung in der DDR entsprachen. Auch im Bereich der Konstruktion hielten Neuerungen Einzug wie zum Beispiel die Modellprojektierung. In Gemeinschaftsarbeit mit der Produktion wurde die Blockbauweise entwickelt und forciert. Die Vorfertigung rohr- und maschinenbaulicher Blöcke fand nun in den Montagehallen statt und nicht mehr unter erschwerten Bordbedingungen.​

Die wesentlichste Maßnahme war der Bau der Schiffskörpermontagehalle (Halle X) mit zwei Hellingbahnen für den Bau von gleichzeitig zwei 102 m langen und 15,2 m breiten Schiffen. Mit dieser 148 x 72 m großen und 31 m hohen Halle war die Schiffsmontage von der freien Helling wieder unter Dach verlegt und witterungsgeschützt. Für die Montage der Großsektionen wurde zwischen den Hallen I und VI die Halle IX mit 27 m lichter Breite errichtet. Die Grundsteinlegung der Halle X war am 30. Januar 1971.

 

Gleichen Tags wurde der erste Atlantik-Supertrawler Typ „ATLANTIK 464.0/464.01“ Neubau 401 auf den Namen „PROMETEY“ getauft und mit der hydraulischen Absenkanlage dem nassen Element übergeben. Die Einweihung der Halle erfolgte mit der Kiellegung des Atlantik-Supertrawlers NB 408 am 2. April 1973. Für den Serienbau des Supertrawlers mussten zusätzliche Zwischenlagerplätze für Sektionen geschaffen werden. Die Fläche der alten Hellinganlage mit der Querslip im Norden wurde dafür hergerichtet. Für den Transport der Sektionen kamen Flurfördermittel (Fabrikat Scheuerle) zum Einsatz, für Paletten mit Bauteilen waren Torlader unterwegs.

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Absenken des ersten Atlantik-Supertrawlers am 30.01.1971

Foto : H.Hardenberg

Auf der „neuen Werft“ stieg der Schiffsausstoß von großen Fischereischiffen nun in bisher unbekannte Dimensionen. Von den insgesamt 201 produzierten Supertrawlern verschiedener Typen in den Jahren 1972 bis 1983 kamen z. B. im Jahr 1982 siebenundzwanzig Schiffe zur Auslieferung, d. h. alle 14 Tage ein hochausgerüstetes 102 m langes Fang- und Verarbeitungsschiff. Abnehmer dieses Typs der weltweit größten gebauten Fischereischiff-Serie waren die Fischer der UdSSR, Rumäniens und der DDR in Rostock. Der Zeitraum des Baus dieser Serie erstreckte sich über 13 Jahre vom Baubeginn des ersten Schiffes am 25. Februar 1970 bis zur Ablieferung des letzten Trawlers am 27. April 1983. Optimierungen der Konstruktion und der Bautechnologie, Neuausgabe von Vorschriften der Klassifikationsgesellschaft und internationaler Organisationen und insbesondere die gewonnenen Einsatzerfahrungen der Fischer mit den ersten Schiffen führten zu Änderungsetappen ab Neubau 405, 417, 425 und 433. Am auffälligsten war das ein Deck tiefer gesetzte Brückendeck ab NB 405.

 

Der Neubau 401 war auf der mehrwöchigen Werftprobefahrt November/Dezember 1971 in der Nordsee in einen Sturm mit Orkanstärke geraten und extremen Schiffsbewegungen ausgesetzt. Für die Verbesserung des Seeverhaltens entschieden sich die Projektanten für dieses Tieferlegen des Schiffsschwerpunktes ab frühestmöglicher Baunummer (NB 405). Nach einer zweiten Seeerprobung im Herbst 1972 konnte „PROMETEY“ am 22. Dezember 1972 an Sapryba, Basis Kaliningrad, abgeliefert werden. Dieser Typ „ATLANTIK 464.0/464.01“ belegte die Baunummern 401 bis 471. Die fünfzehn Supertrawler „ATLANTIK Typ 464.01 mod.“ für die Volksrepublik Rumänien unter den Baunummern 221 bis 235 wurden alle an Intreprindere de Pescuit Oceanic/Constanza mit Heimathafen Tulcea von Mitte 1976 bis Oktober 1979 ausgeliefert.

Acht FVS Atlantik-Supertrawler auf Basis des Typs „ATLANTIK 464.01“ erhielt unter den Baunummern 201 bis 208 das Fischkombinat Rostock zwischen November 1976 und Oktober 1982. Die Fischereikennungen der Trawler waren ROS 331 bis ROS 338 und sie trugen alle Namen von deutschen Schriftstellern des sozialistischen Realismus. Das Fischkombinat setzte gegenüber der Volkswerft eine Reihe von Modifikationen durch, die den Schiffsbetrieb optimierten und die Qualität des Fischfilets verbesserten. Die Rostocker Fischer verfügten über Valutamittel, Filetiermaschinen Baader 33 aus Lübeck einzusetzen, die ab ROS 336 durch den Typ SMB aus DDR-Produktion ersetzt wurden. Ab 1990 erlebten die acht Trawler eine wechselvolle Geschichte. ROS 331-333 wurden bis 1992 nach China verkauft, ROS 334 und 335 in Spanien abgewrackt und die letzten drei waren um 2017 noch unter russischer Flagge (Nachodka) in Fahrt.

Ein Supertrawler auf der Helling 1979

Ein Supertrawler auf der Helling 1979

Der Fang- und Verarbeiter war entwickelt für unbegrenzten Fahrtbereich entsprechend des Klassezeichens und für eine Selbständigkeitsdauer auf See von 70 Tagen. Der Trawler war in der Lage, seine Ladung (Frostfisch und Fischmehl) auf See an Transportschiffe zu übergeben und Treibstoff von Tankern auch bei kleiner Fahrt zu übernehmen, wodurch die Einsatzdauer erheblich ausgedehnt werden konnte. Die Fischerei wurde nach der Wechselnetzmethode im Pelagial bis 1500 m Wassertiefe durchgeführt und konnte bis Windstärke 8 Bft ausgeübt werden. Fischbearbeitungsmaschinen für die Herstellung hochwertigen Fischfilets standen im sozialistischen Wirtschaftsgebiet nicht zur Verfügung. Weltmarktführer war hier die Fa. Baader in Lübeck. Aus Devisenmangel ging die Volkswerft in ihrem Betriebsteil Trassenheide dazu über, solche Maschinen selbst zu entwickeln und zu bauen. Auf den Supertrawlern kamen so die Filetiermaschinen VOSTRA 311 und 332 zum Einbau.

Der Bedarf dieser Trawler war in der Sowjetunion ungebrochen und mit Vertrag zwischen der A/V Sudoimport Moskau und dem VEAHB Schiffscommerz Rostock vom 19. März 1977 auf der Leipziger Frühjahrsmesse sind weitere 44 Einheiten für den Lieferzeitraum 1978-1980 gezeichnet worden. Es war Gesetz im DDR-Schiffbau, dass Schiffscommerz für die Verträge als auch die Schiffspreise das Monopol besaß; die Werft machte die notwendigen technisch-kommerziellen Zuarbeiten und erstellte das Vertragsprojekt. Der Bau lief unter den Baunummern 472 – 566, 251 – 254 und 209 – 211 ab. Die drei letzten Trawler 209 – 211 wurden ursprünglich mit Argentinien verhandelt, zum Vertragsabschluss kam es jedoch nicht mehr.

 

Mit gesondertem Vertrag kamen dann noch sechs Fischereischulschiffe vom Typ 764 mit Lieferung in 1979 dazu mit den Baunummern 401 – 406. Als Referenz an die Stralsunder Werft wurde der NB 485 für die fernöstliche Basis Dalryba auf den Namen „SHTRALZUNDSKIJ KORABEL“ (Stralsunder Schiffbauer) getauft und am 12. September 1978 abgeliefert. Nach genau 27 Jahren ging das Schiff zur Verschrottung nach Aliaga.

Kiellegung des Schulschiffes PRIZVANIE

Kiellegung des Schulschiffes PRIZVANIE

Foto: H.Hardenberg

Parallel zu diesem großen Heckfänger kam es mit Baubeginn von NB 601 am 23.09.1980 zur Aufnahme des 62 m Gefriertrawler-Seiners (GTS) Typ „Atlantik 333“ in das Produktionsprogramm der Werft. Die Entwicklung dieses verhältnismäßig kleinen Typs wurde bereits an die neuen Regelungen der Seerechtskonvention von 1982 angepasst. Für das Fischen in ihren 200 sm breiten Küstenstreifen erhoben die Anrainerstaaten Gebühren, deren Beträge sich nach der Schiffsvermessung richteten. Somit stand die Herausforderung, ein Fangschiff für das Schelfgebiet zu projektieren mit wesentlich kleinerer Vermessung (BRT) als beim Supertrawler, aber mit größeren Gebrauchswerten. Das Basisprojekt war ein Fangschiff für pelagische und Grundschleppnetz-Fischerei sowie für den Fang mit der Ringwade (Seiner-Fischerei).

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Ein GTS auf der Helling 1984

Ein GTS auf der Helling 1984

Foto : W.Dallmer

Dieser GTS wurde bis August 1984 für die UdSSR 84 mal gebaut. Bis Oktober 1987 kamen noch zur Ablieferung:

  • 42 Schiffe „Atlantik 333“ (UdSSR) als Gefriertrawler (GT) ohne Ringwadenausrüstung

  • 12 Schiffe „Atlantik 833“ Wissenschaftliches Forschungsschiff (WFS) für die UdSSR

  • 8 Schiffe „Atlantik 333“ Gefriertrawler (GT) für den VEB Fischkombinat Rostock, das letzte Schiff davon in der Variante mit Einrichtungen für Fischereiforschung. Die Fischereikennungen waren ROS 801 bis 808.

Der größte Schiffsausstoß innerhalb der 146 Schiffe umfassenden Serie des „Atlantik 333/833“ erfolgte 1986 mit 36 Schiffen, also jeden siebenten Arbeitstag ein Schiff. Der gesamte Produktionsdurchlauf erfolgte im Vierer-Los, d.h. vom Zuschnitt über die Bauteilfertigung bis zur Schiffskörpermontage waren vier Objekte gleichzeitig in Arbeit.

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Der Bereich Reparaturen bedurfte ebenfalls dringend einer Anpassung an das gestiegene Auftragsvolumen. Mitte 1973 wurde deshalb ein 4500 to Schwimmdock von der Baltischen Werft Klaipeda beschafft, das 23 Jahre lang in Betrieb war bis zum Verkauf an die Flenderwerft in Lübeck.

 

Gesellschaftlich relevante und betriebsgeschichtliche Ereignisse der Periode 1972-1984:

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  • 02.05.1972 - Aufruf der FDJ-Grundorganisation der Werft an die Jugend der DDR zum “Freundschaftsobjekt Schiffbau“

    • Es wurden zusätzliche Arbeitskräfte benötigt. Die „Fritz Heckert“, 1961 als FDGB-Passagierschiff gebaut, wurde im Stralsunder Hafen festgemacht und diente der Werft als Wohnschiff.

  • 22.06.1973 - Übergabe des Produktionskerns Hallen IX und X, Doppelbodenfließstraße in Halle I fertiggestellt

  •    Aug.1975 - der 35. Supertrawler wird in Leningrad auf der internat. Fischereimesse „INRYBPROM“ vorgestellt

  •           1976 - das Hochhaus wird fertiggestellt und bis Nov. 76 bezogen.

    • Im Anbau sind die Direktorate L, E, K und T, Hpt.-Buchhaltung und Büroräume untergebracht. Das zehnstöckige Hochhaus beherbergt 650 Personen dieser produktionsvorbereitenden Bereiche. Die Forschung und Projektierung war bis dahin auf dem Reparatursektor FR an der Ziegelstraße untergebracht, die Kostruktion und Technologie in Halle VII. Der Gebäudekomplex nannte sich dann Forschungs- und Organisationszentrum.

  • 05.04.1978 - der 100. Supertrawler wird auf Kiel gelegt (29. 09. 78 abgeliefert)

  • 01.01.1979 - Volkswerft wird dem VEB Kombinat Schiffbau Rostock unterstellt

  • 27.04.1983 - Mit NB 211 „KURTNA“ wird der letzte Atlantik-Supertrawler übergeben. Er geht an die Tallinner Fischereibasis „Estrybprom“.

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